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Ist das noch unser Fußball?

Prädikat besonders lesenswert! Ex-Dortmund-Star Neven Subotic über das, was falsch läuft im modernen Fußball und in unserer Gesellschaft.

Ernschtle: Lieber Herr Subotic. Sie sind in Bosnien aufgewachsen und haben dann in Pforzheim gelebt. Daher unsere erste Frage: KSC oder VfB Stuttgart?

Neven Subotic: Da muss ich leider VfB antworten. Als ich in eurem Alter war, spielte dort das sogenannte „Magische Dreieck“ mit Bobic, Balakov und Elber, sie wurden auch Meister. 

Ernschtle: Was ist deine Lieblings-
Rückennummer?

Neven Subotic: Die 4. Ich verbinde sie mit meiner großartigen Zeit in Dortmund, als wir Meister wurden und sogar im Champions League Finale standen.

Ernschtle: Deutscher Meister oder Pokalsieger?

Neven Subotic: Deutscher Meister, weil man sich durch 34 Spiele durcharbeiten muss. Es ist der Lohn harter Arbeit.

Ernschtle: Gegen welche Mannschaft haben sie am liebsten gespielt?

Neven Subotic: Ich glaube die besten und interessantesten Spiele, die wir hatten, waren entweder gegen die Bayern oder Real Madrid. Mit denen spielten wir häufig in der gleichen Gruppe. Die Spiele sind bis heute unvergessen.

Ernschtle: Sie hatten mal Stress mit Arjen Robben. Ist das ausgestanden?

Neven Subotic: Ich glaube das wurde medial anders aufgenommen als es tatsächlich gemeint war. Es ist eine Tatsache, dass er sehr viele Schwalben gemacht und damit auch Spiele entschieden hat. Das ist für mich cheaten und ich hab ihn in dem einen Fall angeschrien, weil ich dachte er hat auch da geschummelt. Ausgerechnet in der Situation war es aber tatsächlich ein Foul und ich war der Doofe.

Ernschtle: Sie haben erst für Mainz und später noch für St. Etienne in Frankreich und für den 1.FC Köln gespielt. Ihre größte Zeit war aber zweifelsohne in Dortmund. Was ist das für ein Gefühl vor der „gelben Wand“ zu spielen?

Neven Subotic: Das ist so ein schönes Gefühl. Immerhin ist es die größte Tribüne überhaupt.  Da stehen 25.000 Leute nur auf einer Tribüne und singen und springen, das hat eine ganz besondere Dynamik, die sich daraus ergibt. Die Fans treiben uns nach vorne, sie sind eine riesengroße Unterstützung. 

Ernschtle: Wer war Ihr stärkster und wer Ihr unsympathischster Gegenspieler?

Neven Subotic: Es gibt schon eine paar Idioten, die da rumlaufen (lacht) Aber in der Regel schaffen sie es nicht langfristig auf einem so hohen Niveau zu spielen, weil sie sich scheinbar nicht auf sich selbst fokussieren können. Der beste Spieler, gegen den ich je gespielt habe, ist bestimmt Cristiano Ronaldo, weil er innerhalb von Sekunden ein Spiel entscheiden kann. Oft spaziert er nur so rum und tut so, als würde ihn das Spiel nicht sonderlich interessieren, aber eigentlich überlegt er gerade nur wie er dieses Problem lösen und ein Tor schießen kann. 

Ernschtle: Denkt man während des Spiels daran, dass der Gegenspieler der beste Fußballer der Welt ist oder kann man das ausblenden?

Neven Subotic: Natürlich ist mir das in dem Moment bewusst, aber ich frage mich, was macht er als nächstes, in welche  Richtung läuft er, was führt er im Schilde. Ich versuche dann immer einen Schritt vor ihm zu sein.

Ernschtle: Sie gelten als sehr intelligenter und auch kritischer Zeitgenosse. Sie haben auch ein Buch herausgebracht („Alles geben“) und kritisieren darin das Profigeschäft. Verdienen Profifußballer zu viel? 

Neven Subotic: Ich denke schon, dass es viel zu viel ist für einen einzelnen Menschen. Das Problem ist, dass die hohen Gehälter eine Folge von Angebot und Nachfrage sind und Fußball nun mal einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Für mich stellt sich die Frage, was man mit dem ganzen Geld machen könnte. Warum nicht einen Teil der Gehälter für andere Bereiche nutzen, wie z.B. neue Trainingsplätze für die Jugend bauen oder den Frauenfußball subventionieren? Fakt ist, dass kein Fußballer so viel Geld braucht, wie er verdient. 

Ernschtle: Geld spielt eine sehr große Rolle im Fußball. Was meinen Sie, spielen die Spieler nur wegen des Geldes oder doch wegen der Leidenschaft und Liebe zum Spiel?

Neven Subotic: Ich kenne keinen Spieler, der nur für Geld spielt.

Ernschtle: Nehmen wir das Beispiel Mbappé, der ist bei PSG geblieben wegen eines unverschämt guten Angebots – obwohl es immer schon sein Kindheitstraum gewesen ist, einmal für Real Madrid zu spielen.

Neven Subotic: Das Problem ist, sage ich mal, dass jeder Fußballer einen Kindheitstraum hat. Doch dieser Kindheitstraum ändert sich jedes Jahr und das obwohl die Kindheit ja eigentlich schon lange vorbei ist. Vieles davon ist Politik und Show. Viele Leute sagen etwas, meinen aber was komplett anderes. Und trotzdem: Du kommst nicht so weit, wenn du nur nach Geld strebst – ansonsten könnte dir schon die zweiten oder dritten Liga reichen, denn schon dort verdienst du so viel Geld, dass du damit sehr gut leben kannst. Es ist also bestimmt nicht nur das Geld, das einen Messi oder Cristiano Ronaldo antreibt. Die wollen einfach die Besten sein, die Champions League gewinnen, Weltmeister werden. Und das treibt sie an, nicht das Geld.

Ernschtle: Was ist Ihre Meinung zur WM in Katar? Viele Leute haben diese ja boykottiert

Neven Subotic: Ich habe sie auch nicht geschaut.Ich finde es sehr wertvoll, dass jetzt über so Dinge wie Menschenrechte gesprochen wird oder auch über die Missstände auf den Baustellen. Es gibt hier sehr gute Journalisten, die nicht nur über das reine Spiel und Ergebnis berichten sondern Dinge aufdecken. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Doch möchte ich anzweifeln ob wirklich allen Menschen die Menschenrechte so wichtig sind. Was wäre gewesen, wenn die WM z.B. in den USA stattgefunden hätte? Da hätten wir wahrscheinlich keinen Satz über Menschenrechte verloren, doch auch dort gibt es Dinge, die aus dem Ruder laufen, Rassismus, Waffengewalt… Es ist leicht, nun in Deutschland oder anderen westlichen Staaten auf muslimische Länder loszugehen, denn ein Großteil der Gesellschaft dort sieht ja bereits das Problem und diskutiert auch darüber. Wir tun uns manchmal schwer damit, uns selbst den Spiegel vorzuhalten. 

Ernschtle: Was sagen Sie zu der Diskussion um die „One Love“ Armbinde?  

Neven Subotic: Da seht ihr wie schnell es geht mit den Menschenrechten. Ist diese Form des Protests authentisch? Da bin ich mir leider nicht so sicher.

Ernschtle: Sie engagieren sich sehr stark in der Dritten Welt. Was gibt Ihnen das persönlich und wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Neven Subotic: Zuallererst, ich mache das auf jeden Fall nicht für mich so nach dem Motto „toller Typ“ oder so. Es ist offensichtlich, dass die Welt sehr ungerecht ist. Wenn man privilegiert auf Kosten anderer aufwächst, hat man auch eine gewisse Verantwortung, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Wir müssen etwas tun, am Besten gemeinsam. Wir haben keine zweite oder dritte Welt, es gibt nur die eine, die globalisierte Welt. Nehmen wir z.B. das Handy, mit dem ihr gerade das Interview aufzeichnet. Die Ressourcen dafür kommen von irgendwoher, die Farbe, die unterschiedlichen, zum Teil seltenen Metallen (bis zu 30 insgesamt; Anm. d. Redaktion), alles kommt irgendwo her. Dann wird alles wieder woanders zusammengeschraubt. Ihr seht, alles ist sehr abhängig voneinander. Überall auf der Welt arbeiten Menschen miteinander und das ist zum Teil auch sehr schön, weil es wundervolle Menschen überall auf der Welt gibt. Unser Ziel sollte es sein, dass es allen dabei gut geht. Es ist gleichzeitig aber auch ein bisschen erschütternd, wenn man sieht vor welchen Herausforderungen viele Menschen stehen. Sorgen und Ängste, die sie eigentlich nicht haben sollten. Es ist auch absolut menschenunwürdig, dass immer noch so viele keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Wo Menschen dazu gezwungen sind, verdrecktes Wasser zu trinken. Wasser, in das Tiere reinpissen oder Firmen ihre Abfälle entsorgen. Das tut weh. Es ist einfach schlimm. 

Ernschtle: Deswegen ja auch Ihre Projekte wie das Wasserhelden Projekt bzw. Wash Programm. In welchen Ländern sind Sie mit Ihrer Stiftung aktiv? 

Neven Subotic: Wasserhelden ist ein Programm für Schulbildung, das machen wir schon seit über zehn Jahren. Das sogenannte Wash Programm betreiben wir in Afrika, vor allem in Äthiopien, Tansania und Kenia.

Ernschtle: Wie oft sind Sie vor Ort? 

Neven Subotic: In der Regel zweimal im Jahr, aber ich habe da eigentlich keine echte Funktion. Wir haben einen tollen Ingenieur, der kann das viel besser als ich.

Ernschtle: Und wie muss man sich das dann vorstellen? Da wird dann ein Brunnen für eine Gemeinde gebaut?

Neven Subotic: Es werden manchmal auch größere Wasseranlagen installiert, die dann bis zu 2.000 Menschen täglich bedienen. Es werden Sanitäranlagen an Schulen errichtet, dazu Training für das Management und die Wartung, denn das Wissen für die richtige Anwendung ist unbedingt sicherzustellen. Das ganze ist ja langfristig und nachhaltig angelegt.

Ernschtle: Wussten Sie schon während ihrer aktiven Fußballkarriere, dass sich da mal engagieren wollen?

Neven Subotic: Ja, klar. Ich habe die Stiftung schon seit zehn Jahren. Zuvor habe ich mich schon in Dortmund oder auch in Bosnien engagiert. Probleme sind immer auch in gegenseitiger Abhängigkeit zu verstehen: Was für die einen ein Problem ist, ist für die anderen die Lösung. Dass wir Handys kaufen und es uns quasi nichts kostet – selbst Kinder können schon voll die teuren Handys besitzen – geht ja nur, weil woanders eine Person gerade jetzt die Mineralien dafür abbaut und wahrscheinlich nicht das schönste Leben hat. Vielleicht wird die Person dafür bezahlt, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hat sie ein Dach überm Kopf, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht können die Kinder zur Schule gehen, vielleicht aber auch nicht. Das ganze ist leider Realität und deshalb müssen wir zusehen, dass wir das Ganze positiv beeinflussen. Wir sollten gemeinsam versuchen, nach vorne zu kommen und zwar als Gesamtgesellschaft. Es bringt einfach nichts, wenn die Leute mit den größten Waffen uns sagen wie die Welt zu laufen hat. Aber leider läuft es momentan genau so.

Ernschtle: Haben sie noch Hoffnung, dass es eine bessere Welt wird?

„Welche Rolle wird Deutschland in der 

Zukunft spielen?“

Neven Subotic: Dass alles gut wird? Nein, bestimmt nicht. Es ist bereits schlimm und es wird noch schlimmer, das ist die Realität. Wird Amerika immer eine Weltmacht sein und nicht China? Und welche Rolle wird Deutschland dabei spielen? Das sind alles Fragen, die beantwortet werden müssen. Wir sind es gewohnt, vor allem hier in Deutschland, dass alle Dinge so sind wie sie sind. Bloß nichts verändern. Die Realität ist aber, dass auch Deutschland sich verändern und mehr mit der Zeit gehen muss. Ich finde es sehr interessant daran zu arbeiten. Wenn ich es leicht und schön haben wollte, würde ich in meinem Dorf in Bosnien leben und würde mich nicht mit all diesen Problemen auseinandersetzen.  

Ernschtle: Das ist wohl wahr. Vielen Dank für Ihr großes Engagement und natürlich vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für uns genommen haben. Das war echt spitze.
Neven Subotic: Gerne. Und euch viel Erfolg mit eurer Schülerzeitung! Toll, was ihr da so macht.

Ernschtle: Dankeschön!

stefan.gacovski@ernschtle.de

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